Andreas König im Interview mit Ralf Schuster, Verleger Zwischentoren

erschienen in den Informationen des Ralf Schuster Verlags

Sehr geehrter Herr König, nach den Gedichtbänden „Gespräche am Jakobsbrunnen“ und „Der alte König des Maronenhains“, die 2010 und 2013 im Echter-Verlag erschienen sind, ist Ihr neuester Lyrikband 2015 in meinem Verlag herausgekommen, worüber ich mich sehr freue. Der Titel lautet „Zwischentoren“. Was ist darunter zu verstehen und was darf der Leser von diesem Band erwarten?

Früher nannte man das zwischen dem Fernpass und Reutte in Tirol gelegene Land „Zwischentoren“, weil es zwischen den Toren von Schloss Fernsteinsee und der Klause Ehrenberg liegt, wo die Händler jeweils Maut zu entrichten hatten. Durch einen Film von Dieter Wieland wurde ich auf die Geschichte der Gegend und ihrer alten, teils antiken Straßen aufmerksam. Persönlich ist mir darüber hinaus die Landschaft aus meiner Kindheit sehr vertraut. Anfang letzten Jahres bin ich, bei einem Aufenthalt in Reutte, erneut auf diesen Namen gestoßen. Da fiel die Entscheidung, ihn zum Titel der neuen Gedichtsammlung zu machen. „Zwischen den Toren“ von Geburt und Tod bewegen wir uns, ausgestattet mit „nichts als einem Mundwerk“, mancher auch mit einer Feder, die ihn seine Erfahrungen und inneren Bewegungen schreibend festhalten lässt. Bei mir gehören die Begegnung mit geschichtsträchtigen Orten, mit der Natur, und Spaziergänge durch die inneren und äußeren Landschaften des Glaubens dazu. Ich lebe „im Angesicht des Todes“ und mich faszinieren die Spuren derer, die vor mir gelebt haben, vor allem die unauslöschlichen Spuren jenes Mannes, die mit seinem Tod am Kreuz nicht geendet haben. Ich finde sie in meinem Leben und u.a. auch in vielen architektonischen Zeugnissen wieder. So darf der Leser sich auf einen Spaziergang freuen, der ihn einlädt, mit meinen vergänglichen Augen auf manches Unvergängliche (oder uns doch zumindest gewiss Überdauernde) zu schauen.

Christliche Lyrik also? Wie schätzen Sie deren Möglichkeiten und Aufgaben in modernen, nachaufklärerischen Zeiten ein? Wo sehen Sie deren ‚Platz‘ in der Gesellschaft?

Lyrik eines Menschen, der versucht, ein Christ zu werden, würde ich sagen. Dabei sehe ich es, wenn Sie so wollen, als ein eigenes Charisma an, das sich keinem bestimmten Zweck unterwirft oder sich in welchen Dienst auch immer nehmen ließe. Echte Lyrik entsteht um ihrer selbst willen, geboren aus einem bildhaften Einfall, einem starken Erlebnis, wobei Inspiration für mich schon auf einen inneren Dialog zwischen Autor und Geist hindeutet. Aus dem Raum der Kirche spüre ich allerdings kaum Interesse an dieser Gattung, aus dem Raum der Gesellschaft so viel wie für Lyrik im Allgemeinen. Durch einen religiösen Menschen und Autor zieht der Riss unserer Tage. Er lebt in einer zunehmend säkularen Welt und ist wie sie von der Krankheit des Zweifels befallen. Aber er greift nach der Medizin des Vertrauens oder sucht zumindest nach ihr: Nach der Möglichkeit eines „guten Gottes“, der ohnmächtig-mächtig Anteil nimmt an unserem widersprüchlichen Leben und uns einlädt, dem Beispiel seines Sohnes zu folgen. Die Möglichkeiten eines Lyrikers liegen darin, andere an seinem inneren Such- und Folgeprozess teilhaben zu lassen, und Erfahrungen anzudeuten. Dabei legt er den Leser nicht fest, zu den gleichen Schlüssen zu kommen wie er selbst. Vielmehr lädt er ihn ein, Staunen, Erschütterung, Freude und Trauer zu teilen. Lyrik verrät keine Geheimnisse, entblößt nichts – das, so scheint mir, ist ihre wichtigste Aufgabe in einer Zeit, die sich im Enthüllen, der Entzauberung und zur Schau Stellung von scheinbaren Sachverhalten gefällt. Ihr Platz ist ganz außen, am Rand. Sie möchte den Blick zur Mitte gewähren, öffnen. Den Leser lädt sie ein, die Augen zu öffnen und sich selbst auf den Weg zu machen, gestützt auf seine eigenen Assoziationen, Erfahrungen und Bilder. Vielleicht ist das ihre Größe, macht sie aber auch für viele Zeitgenossen so schwierig: Dass sie stets „das Ende“ offen lässt, einen weiten Raum bildet, dabei aber die Möglichkeit gewährt, dem Erleben und Sein eines anderen Menschen sehr nahe zu kommen.

Kann man sich ausgehend von diesem Lyrikverständnis auch die Form der meisten Ihrer Gedichte erklären? Es handelt sich ja zumeist um kurze Texte, die sich aus Satzfragmenten – man könnte fast sagen Gedankensplittern – zusammensetzen und oft nur assoziativ miteinander verbunden sind.

Sehr richtig. In der Form meiner Texte, bis hinein ins Fragmentarische mancher Verse, spiegelt sich mein lyrisches Sinnverständnis wieder. Ich suche nach dem Ganzen, erahne es manchmal, scheue mich aber, das Gefundene anders auszudrücken, als in der Gestalt eines Bruchstückes. Dieses darf dann für sich stehen und auf das hindeuten oder von dem Zeugnis ablegen, was zu Bruch gegangen ist: Ganze Welt- und Gottesbilder, alte Sicherheiten, selbstverständliche Aussagen, sogar das Schöne, hinter dem sich ja oft auch etwas Anderes verbirgt. Ich halte es für unserer Zeit höchst angemessen, so zu schreiben, dass ihre Brüche im Text sichtbar werden, auch ihre Abgründe und Spannungen. Das mag dann assoziativ wirken. Dennoch folgen die Texte einem Sinnzusammenhang, der wie ein Netz die einzelnen Elemente zusammenhält. Ihn zu erkennen, aufzufinden, zu erahnen, überlasse ich aber lieber dem Leser. Da ist er dann dem Geheimnis auf der Spur, um das es geht. Meine Sehnsucht gilt eigentlich schon dem Vollkommenen, einer Harmonie, die aber nur Ahnung bleibt. Manchen Gedichten erlaube ich, ein Spiegel dessen zu sein. Im Allgemeinen aber bevorzuge ich eine aufgebrochene Sprache, weil ich glaube, dass wir gebrochene Menschen sind. Unweigerlich muss natürlich die Frage nach den literarischen Vorbildern gestellt werden, nach Autoren, die für Ihre literarische Entwicklung besonders wichtig waren oder sind. Prägend waren für mich sicherlich die Gedichte Reiner Kunzes, dem ich als Schüler bei Lesungen auch persönlich begegnen durfte. Er stand mir, als vielleicht dreizehn-, vierzehnjährigem Schüler, Rede und Antwort. Die Art, wie er mich als Person ernst nahm, wie er seine Texte vortrug, und seine Poetik haben mich sehr beeindruckt. Später kamen dann Günter Eich, Sarah Kirsch, Hilde Domin, Jan Skácel – um nur einige zu nennen – und gaben das ihre hinzu. Dankbar bin ich auch Erich Jooß für seine kritische Begleitung meiner literarischen Entwicklung der letzten Jahre.

Vielleicht können Sie uns am Schluss dieses E-Mail-Interviews noch einen kleinen Blick in die ‚Werkstatt‘ des Dichters gewähren. Wie entsteht ein Gedicht? Wie verläuft da der Weg von der ersten Idee zum fertig ausgearbeiteten lyrischen Text?

Wie ein Gedicht entsteht, ist eine schwierige Frage. Reiner Kunze hat einmal davon gesprochen, dass das Gedicht selbst die Absicht äußert, geschrieben zu werden. Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, ein Text entsteht in mir, macht sich dann „bemerkbar“ und wird aufgeschrieben. Während dies ein müheloser Prozess ist, der mich selbst in Staunen versetzt, da er zu unvorhergesehenen bzw. unvorhersehbaren Ergebnissen führt, gleichsam so, als wolle etwas ausgedrückt werden, ein Gedankengang in eine Richtung geführt werden, in die ich gar nicht gedacht habe – während dies also leicht geschieht, kann es ebenso auch sein, dass ich an einem Gedicht mühevoll über Wochen, ja Monate arbeite, bis es seine „endgültige“ Gestalt gefunden hat. Ohnehin erfahren Gedichte über Jahre hinweg regelmäßige Überarbeitungen, abgesehen von den wenigen Texten, die auch über längere Zeit dem eigenen kritischen Blick standhalten. Hin und wieder fließen auch Hinweise von guten Freunden mit ein, die mir sagen, was sie in einem Gedicht stört, irritiert, was verbraucht klingt etc. Dies ist natürlich eine sehr wertvolle Hilfe, da sie einen von gewissen blinden Flecken befreit. Insgesamt ist aber schon die Zeit ein wichtiger Faktor, das Lesen am Bildschirm und auf dem Papier, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Stimmungen. Irgendwann kommt dann der Moment, in dem man spürt: Jetzt ist es gültig. Und wieder ist es dann so, als würde einem das Gedicht sagen: Lass nun ab, füge nichts hinzu, streiche nichts mehr weg, so ist es gut. Insgesamt stelle ich fest, dass lyrische Texte höchst lebendige Wesen sind, zu denen man nicht immer in gleicher Weise Zugang findet, die sich wandeln und manchmal erst nach mehrmaliger Lektüre erschließen. Das liegt sicher daran, dass sie ja keine Informationen mitteilen, sondern vielmehr vom Unaussprechlichen reden, in uns Ebenen erreichen wollen, die auch nicht immer gleich „empfänglich“ sind. Sie haben ihr eigenes Recht, folgen einer eigenen Logik, die einem nicht immer gefallen muss, die man aber auch als Autor respektieren sollte. Und: Die Texte, die einen am meisten plagen und herausfordern, sind einem oft die liebsten. Das ist wie mit schwierigen Kindern…

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview entstand 2016
erschienen in: Informationen aus dem Ralf Schuster Verlag

Hinweis:
Ein neues Interview von Andreas König und Stephan Lüttich ist kürzlich in den Reinhold Schneider Blättern des Ralf Schuster Verlags erschienen. Das Buch kann über den Verlag hier bestellt werden.

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