Im Kreuzgang

Die vorliegende Auswahl bildet die Entwicklung des Autors hin zur Verknappung, zur andeutenden und weniger erzählenden Darstellung ab. Bewusst schmal gewählt, deutet der neue Band eine doppelte Bewegung an: „Im Kreuzgang“ bezeichnet den Ort, an dem „gesucht“ wird, aber auch eine „Gangart des Lebens“- und eine des Schreibens. Der Leser ist eingeladen, in seinem eigenen Tempo an verschiedene Stätten, zu verschiedenen Lebenserfahrungen zu folgen, und dabei – kraft seines eigenen Blicks und Erfahrungsschatzes – die meist kurz gehaltenen Texte zu vervollständigen, für sich zu aktualisieren. Wie immer ist er ein „Mitschöpfender“. Besonders an dieser Sammlung sind die zahlreichen Abbildungen, die mit den Gedichten korrespondieren. Hier haben bereits Menschen als Mitschöpfende ihre Spuren hinterlassen. Ergänzt wird das Buch durch ein Nachwort des Autors, in welchem dem Prozess der Entstehung eines Gedichts nachgespürt wird.

 

Auszug aus dem Buch:

 

W a n d e r u n g   d u r c h   e i n e   e i n s a m e   L a n d s c h a f t
(bei Steingaden)

Vom Himmel her
das Aschekreuz

Wiesen streift es,
Weiher,
Flügel

Meinen Kopf

Was Gott weglässt,
was er nimmt,
wird zur Gabe

Nicht zu fassen
wie das Feuer,
wie der Funke
im Gedicht

 

 

D i e   F l i e g e n d e n
(auf dem Geißberg bei Oberstdorf)

I

In der Kinderhand
der winzige Same:
Weiß gefiedert
kam er geflogen,
Spielball jedes Hauchs

II

Bringen die Fliegenden
Frucht,
die auf den Talboden fallen?

 

 


 

S T I M M E N   Z U M   B U C H

 

Andreas Königs neue Sammlung von Gedichten ist erschienen: „Im Kreuzgang“.

Diesem Titel entsprechend gibt das Softcover den Blick auf einen romanischen Säulengang frei. Das Foto zeigt den offenen Flügel eines in der Säkularisation größtenteils abgebrochenen Kreuzgangs beim Steingadener Welfenmünster im oberbayerischen Pfaffenwinkel. Auf diesen (Ab)Bruch bezieht sich gleich das erste Gedicht des im Allgäu lebenden Ausnahmepoeten:

Gottes gebrochener Flügel / Gottes gebrochener Sohn / Tag und Nacht steht seine Barmherzigkeit offen / Eine Pforte, die nur der Gebrochene findet.

Schon auf dieser ersten der insgesamt einhundert Seiten des Bändchens zeigt sich, was der Lyriker kann und wie er es „macht“: In seinem lyrischen Kreuzgang kreuzen sich konkrete, real nachvollziehbare und erfahr-bare Eindrücke mit sehr persönlichen Einfällen bzw. Intuitionen, die schließlich in eine „Pointe“ münden, die der Autor aus der spirituellen und therapeutisch fundierten Tiefe seines eigenen Erlebens schöpft: Jedes Gedicht ein „Cross-over“, fast lapidar, zumindest aber minimalistisch, beinahe im Stil eines Haiku; sehr dicht. Dicht-ung im wörtlichen und wahren Sinn dieses Wortes, das ganze Büchlein hindurch. Fast immer gehen die Gedichte Königs auf Begegnungen und Impulse zurück, die sich ihm in der Natur oder an exponierten, oft sakralen Orten ergeben haben und dann in ihm weiter wirkten: Berge, Täler, Wälder, Kapellen, Kirchen, Klöster, Krypten, Kunstwerke, aber auch Bahnhöfe und Wirtsgärten, Häuser und Brunnen, manchmal scheinbar Nebensächliches oder dem Blick Verborgenes.

Der Titel „Im Kreuzgang“ ist trefflich gewählt, ist der Kreuzgang doch ein Ort der sinnenden Betrachtung, des individuellen Gebets, der meditativen Zwiesprache mit dem Heiligen; ein geschützter halb offener Raum im Innern eines Klosters, der zwischen Gottesdienst und Arbeit, den Eckpfeilern geistlichen Lebens, etwas Drittes erschließen möchte: einen Zwischenraum und Weg, der aus der Befangenheit des allzu Irdischen täglich neu die Richtungen des Himmels erfahren lässt, im Ergehen der Himmelsrichtungen zu einer tieferen Begegnung mit sich selbst und mit Gott einlädt.

In seinem persönlichen Kreuzgang lässt der pilgernde Poet Andreas König seine LeserInnen teilhaben an der Ergründung seiner Gedanken, Gefühle und Strebungen zwischen Erde und Himmel, Tag und Nacht, Bewegung und Ruhe, Wachen und Schlaf, Beten und Arbeiten, Reden und Schweigen, Körper und Geist, Zeit und Ewigkeit, Struktur und Freiheit, Gott und der Welt. Welcher lyrische Literat spricht heute noch von Gott? Andreas König: In seinem Geist atmenden Traktat für das Weltkloster jeder lyrisch aufgeschlossenen Seele. Ein solches „Brevier“ hätte allerdings einen höherwertigen Einband und eine anspruchsvollere typografische Gestaltung verdient, trotz der preiswerten Ausgabe.

Karl Michael Ranftl, Windach, Mai 2018,
erschienen in Stimmen der Zeit (Heft 9/2018), Herder Verlag, Freiburg

 

Andreas König verarbeitet in seinem Gedichtband „Im Kreuzgang“ persönliche Erfahrungen, die er in Natur, Kunst und persönlichen Begegnungen gemacht hat – und dies in behutsamer, verdichteter Sprache. Eine Rezension von Johann Pock.

https://www.feinschwarz.net/im-kreuzgang/

 

Lyrik ist in unserer schnelllebigen Zeit ein Minderheitenprogramm und Gedichte haben es schwer, ihren Weg zum Leser zu finden, denn es erfordert seine Geduld und Aufmerksamkeit, dass sie sich ihm erschließen. Mit einmaligem Lesen ist es nicht getan. Man muss sich auf sie einlassen. Gedichte wie die ernsten, tiefgründigen von Andreas König wollen meditiert werden wie Bibelverse, handelt es sich doch weitgehend um komprimierte religiöse Texte. Die beiden Sammlungen von Königs Lyrik, die hier besprochen werden, heißen Zwischentoren (nach dem Tal im Tiroler Außerfern) und Im Kreuzgang.

Der Titel einer Sammlung von 2010 Gespräche am Jakobsbrunnen weist ebenfalls auf die theologische Dimension hin. Die Gedichte Königs sind wie geschliffene Edelsteine, meist aufs Äußerste reduziert und sie werden in konventioneller Schreibung mit sparsamer Zeichensetzung präsentiert. Abschließende Satzpunkte fehlen, denn das einzelne Gedicht soll im Leser weiterschwingen und ihn beschäftigen. Die Rezeption des Gedichtes ist kein abgeschlossener Vorgang. Da gibt es Texte, die nur aus Titel, Untertitel und einer einzigen Zeile auf einer weißen Seite bestehen. Z. B.:

Hauchenberg (Zuflucht)

Lass mich den Himmel hören
(Im Kreuzgang, S. 47).

Die beiden vorliegenden Bände sind sorgfältig und ansprechend gestaltet, die Seiten locker und lesefreundlich bedruckt. „Zwischentoren“ zeigt auf dem in Grün gehaltenen Einband die Halser Ilz-Schleife. Dazu das Gedicht:

Große Steine (an der Ilz)

Große Steine
liegen im Fluss

Gern würde ich
zu ihrer Herde
zählen

Im Wasser ruhen,
das flüstert
und flieht

Andreas König verortet seine Texte für den Leser nachvollziehbar. Er gibt zum Beispiel Schauplätze in Tirol, Salzburg, Allgäu, Oberitalien u. a. an und zoomt dann näher zu konkreten Straßen, Gebäuden, Gegenständen. Es gibt Gedichte, die Stimmungen, Erinnerungen wiedergeben und solche, die verstorbener Menschen gedenken. Berge, Flüsse, Kunstwerke, auch Bahnsteige und die dazugehörigen Abschiede und menschlichen Beziehungen sind wiederkehrende Motive. Nichts ist harmlos und oberflächlich.

Dem Bändchen Im Kreuzgang sind 14 kleinformatige Schwarzweiß-Fotos beigegeben, auf die sich dann jeweils Gedichte beziehen. Es ist lohnend, sich mit dem Autor auf die Bilder einzulassen und seinen Schaffensprozess nachzuvollziehen. A. König fühlt sich selbst überrascht, wie er manchmal zu einem Gedicht kommt. Statt eines Nachworts im Band Im Kreuzgang (S. 97 f.) beschreibt König die Entstehung eines Gedichts:

Er wandert vor einem Gewitter mit seinem jüngsten Sohn zum Weiler Wachsenegg, an dessen Rand sich eine kleine Kapelle befindet. Ihre Tür steht offen, drinnen erwartet die beiden ein Madonnenbild mit Jesuskind. Der Gegensatz zwischen dem winzigen Gotteshaus und der weiten Landschaft in der Gewitterstimmung lassen den Autor nicht mehr los. Der Eindruck wird zur Keimzelle eines Gedichtes:

Kapelle in Wachsenegg

Die Tür zum Bild
stand auf

Die Wolken
zogen Zeilen

Die Jungfrau kam
zum Kind

Wir begegnen in den meist ganz kurzen Texten einem sensiblen Menschen, für den Stimmungen, Situationen, Kunstwerke etc. zu sprechen beginnen, die für andere Menschen stumm bleiben. Und er nimmt uns mit in das Geheimnis der Entstehung eines lyrischen Gedichts. Übrigens: „Andreas König“ ist ein Pseudonym. Mehr unter www.andreaskoenig-lyrik.de.

aus dem Heft „Begegnungen“ 02/2018 der Katholischen Lehrer- und Erziehergemeinschaft,
von Frau Mag. Maria Pietsch

 

Schaut man sich die Schauplätze an, die den Autor zu Gedichten inspirieren, dann fällt einem gleich auf, dass es sich bei sehr vielen davon um Sakralbauten handelt. Bei dem starken Einfluss und Eindruck des Religiösen scheint der Schluss naheliegend zu sein, dass ein Theologe am Werk sein muss. Bei Andreas König, bürgerlich André von Wickeren, handelt es sich jedoch um einen Psychologen und Psychotherapeuten, der sich von außergewöhnlichen Anblicken faszinieren lässt, so dass es zu Einblicken und Einsichten, ja Tiefblicken kommt, denen etwas Magisches anhaftet. Der Poet wird zum Seher, zum Erfasser. Extreme Reduktion, sogar Kargheit zeichnet alle Gedichte aus. Oft bestehen Verszeilen lediglich aus ein oder zwei Worten, Strophen aus ein, zwei oder drei Verszeilen.

Alte Kirchen
I
Alles, was alt ist,
tröstet den Alten

II
Gottes Tag
bleibt der Jüngste

Diesem Kurztext ist wie vielen anderen ein illustrierendes Schwarzweiß-Foto gegenübergestellt. Wie hier locken manchmal Gegensätze. Tiefe-Höhe, dunkel-hell, alt-jung.

Joachim Linke, in: magazin lichtung 2018/3, lichtung verlag Viechtach

 

„Kein lyrisch-geistliches „fast-food“ erwartet den Leser; Andreas König geht in die Tiefe. Details im ehemaligen Kreuzgang des Steingadener Klosters inspirieren ihn etwa zum kreativen Spiel zwischen Architektur und Glaube, eine alte Kirche zur Meditation über den jungen Gott am Jüngsten Tag; die Vergangenheit eines alten Leprosenhauses wird geistliche Gegenwart. Und immer wieder ist es die Natur, mit Bäumen, mit Wolken, Farbenspiel, mit ihrer Stille, die Anregung wird für den Ausdruck existentieller Erfahrungen, die durchsichtig wird auf Ewiges. Das „ausgesetzte Allerheiligste“ lädt ein, sich selber „auszusetzen“ – knapper und schöner kann man es kaum sagen. Die Frömmigkeit dieser Gedichte ist nie frömmelnd, sondern kommt nüchtern daher. Andreas König spart auch biografische Erfahrungen nicht aus. Manches bleibt verrätselt. Biblische Figuren wie Abraham, der Verlorene Sohn oder die Frau am Jakobsbrunnen beginnen in knappen Zeilen neu zu sprechen. Und Fotos führen den Leser und Betrachter dorthin, wo die Gedichte ihren Anfang genommen haben. – Schöne und tiefe Lyrik ist „Im Kreuzgang“ versammelt!“

Josef Six

 

DIE FURCHE - Andreas Batlogg