Kürzlich ist, im Ralf Schuster Verlag Passau, Melanie Barbatos Gedichtband „Die Erdbeerschale“ erschienen. Ich bin kein Literaturkritiker, nicht einmal ein literarisch besonders gebildeter Mensch, möchte aber dennoch mit diesen Zeilen versuchen, meine wärmste Empfehlung auszusprechen:
Stillleben mit Erdbeeren
Wieviel besser als Totenkopf und Stundenglas
Ist doch eine Schale voll frischer Erdbeeren
Jeder weiß wie köstlich Erdbeeren schmecken
Mancher wünscht sich statt des Bildes die Frucht
Doch auch das Bild gefällt
Niemand meint, Du seist affektiert
Deine Mutter sagt nicht: Häng das ab
Höchstens, dass ein Gast zu schnell vorüber geht
Er kann ja wiederkommen
Bereits dieses erste Gedicht (S.9) ist getragen von einer, wie mir scheint, für die Autorin typischen Spannung aus Ernst und gelassener Heiterkeit, Lebensfreude und Tiefe des poetischen Suchens und Fragens, die mir beim Lesen immer wieder ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hat, während schon der nächste Vers mich mit Staunen erfüllen konnte, über die existenzielle Kraft eines Bildes, etwa jenes, das die Lyrikerin für die höchste Stufe des Vertrauens findet (S. 17):
Drei Stufen des Vertrauens, nach Al-Ghazali
Vertrauen wie der Mann, der eine Sache seinem Anwalt überträgt
Vertrauen wie das Kind, das weiß, dass es die Mutter schützt und pflegt
Vertrauen, ohne Trachten, ohne eignen Sinn
So wie der Leichnam in der Hand der Wäscherin
Das ist große Poesie, die ohne jedes Pathos auskommt. Hier bin ich ergriffen, im besten Sinne des Wortes, und mag mich dem Gedankengang der Autorin überlassen, die mich an der Kinderhand führt, bis in die Zone des völligen Überlassenseins im Tod. Als Leser spürt man bald: In diesem Band werden, mit großer Leichtigkeit und sprachlicher Virtuosität, die wesentlichen Fragen des Menschseins, auch des Glaubens, verhandelt (S.34):
Der Traum des Jesuskinds,
nach einem Gemälde von Thérèse von Lisieux
Wie ruhig die kleine Brust sich hebt und senkt
Die Blumen, die die Mutter ihm bei Tag geschenkt
Hält es noch locker in der offnen Hand
So ahnte keiner wohl sein Traumgesicht:
Lanze und Kelch strahlen auf im Mondeslicht
Die Dornenkrone wartet statt dem Blumenkranz
Das Kind, es sieht sich selbst im Schmerzensbild
Qualvoll entstellt, und lächelt dennoch mild
Im Schlaf, im Frieden, den die Welt nicht kennt
Was für ein Bogen wird hier gespannt, zwischen zwei so extrem gegensätzlichen Bildwelten: Der des Jesuskindes und der des Schmerzensmanns. Wenn ich solche Verse lesen darf, bin ich dankbar für das, was sie mir schenken, was nur Lyrik von solcher Qualität uns schenken kann, wie Melanie Barbato sie schreibt, mit ebenso leichter wie sicherer Hand (und eigener Handschrift). Dann liegt mir immer der begeisterte Ausruf auf der Zunge: „Es gibt noch Gedichte!“ Und sie zu lesen, bereitet mir mindestens ebensolchen Genuss wie das Essen sommerreifer Erdbeeren. Schon jetzt darf man sich freuen auf alles Kommende, das noch in Melanie Barbatos poetischem Garten von Welt wachsen und reifen wird. Ich sage: Dankeschön, und zitierte zum Schluss noch ein Haiku, mit dem das Buch, auf S. 93, mit vollendeter Ironie endet:
Ein stolzer Kahn
Schau, wie die Entengrütze
Sich hinter ihm schließt