„Geliebte Gabi“

Im Memminger Stadtmuseum ist zur Zeit die Ausstellung „Geliebte Gabi“ zu sehen. Sie ist Teil des Projekts „VerVolkt“, in dessen Rahmen die Kuratorin Regina Gropper Schicksale von NS-Opfern aus dem Allgäu vorstellt. Bei Gabi handelt es sich um ein jüdisches Mädchen, das von seiner Mutter in der Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns zur Pflege in eine Allgäuer Bauernfamilie nach Stiefenhofen gegeben worden war, in der Hoffnung, dass sie dort vor Verfolgung sicher sein möge. Beide, Mutter und Tochter, hatten die Taufe empfangen, was beide nicht davor schützte, letztendlich deportiert und ermordet zu werden. Dabei konnte die Kuratorin für die Ausstellung auf zahlreiche Fotos zurückgreifen, die das Leben und die Entwicklung Gabis bis zu ihrer Deportation dokumentieren. Begleitend dazu hat der Autor und Filmemacher Leo Hiemer 2021 den Film „Kann Spuren von Nazis enthalten“ gedreht, der in der Ausstellung zu sehen ist. In zahlreichen Kurzvideos (zu finden auf Youtube und über seine Homepage) nimmt er überdies einzelne Themen der Ausstellung in den Blick oder liest (teils tief erschütternde) Abschnitte aus seinem Buch über das Leben des Mädchens vor. Bereits 1994 hatte Hiemer den Spielfilm „Leni …muss fort“ gedreht, der Gabis Schicksal zur Vorlage hat.

Kann man die Schrecken der Nazizeit überhaupt begreifen? Wenn, dann wohl nur im Ansatz – und nur, wenn man sich ihnen anhand des konkreten Schicksals einzelner Menschen annähert, wie dies hier in so berührender und gelungener Weise geschieht. So begegnet der Besucher zahlreichen weiteren Lebens- und Opfergeschichten, darunter auch der des Fotografen Julius Guggenheimer, dem die Memminger Kunsthalle bereits vor einigen Jahren eine Ausstellung gewidmet hat. Einige seiner Bilder sind im Museum zu sehen.

 

Geliebte Gabi
(zur gleichnamigen Ausstellung über das Schicksal eines jüdischen Mädchens im Allgäu)

Als wir die Fotos betrachteten,
blieb die Zeit stehen

– Gabi, beim Füttern der Hühner,
freudestrahlend –

Die Zeit
hielt uns wie Uhren
an

Und wir wussten:
Es ist für immer
zu spät

Nur das Herz
widersprach

*

 

Porträtfoto des Fotografen Julius Guggenheimer
(1885 – 1943)

Seine Augen seh ich
sehen

Was man sehen kann,
in seinen Bildern

Hier sah
den Menschen
ein Mensch

*

 

Übrigens macht uns Leo Hiemer in seinem Film zur Ausstellung auch auf die heutige „braune Szene“ im Allgäu aufmerksam. Von ihrer „Aktivität“ zeugt auch die Tatsache, dass die vor der Memminger St. Martins Kirche aufgestellten Schautafeln, welche auf die Ausstellung hinweisen und sie zugleich in den öffentlichen Raum hinein erweitern, in einer Augustnacht von unbekannten Tätern aus dem mutmaßlich rechtsextremen Milieu beschädigt worden sind. So unfassbar es klingt: Der Ungeist, der so viele Menschen das Leben gekostet hat, ist noch immer (oder schon wieder) am Werk.

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